Eröffnungsvortrag von Eva Maria Jobst

Zur Eröffnung … wenn sie denn hält.

„Berliner Gruppe für Psychoanalyse“, ein grätiger Name, der in die Quere kommt, wenn denn appetitlich angerichtet werden soll – keines dieser kleinen preziösen Gebinde, auf die er doch, sie verbergend, zeigt und die die sich auf Lacan beziehende psychoanalytische Welt – (oder was dafür gilt und sich als solche hält) – schmücken: Nécession – Dérive – Mal vu mal pris – Triebschranke – Proton pseudos. Einfälle zur Namensgebung, die wir vier reihum sammelten und alsbald verwarfen, da sie ausstellen sollten, was nicht zu halten ist, was nicht hält, die – kaum gesagt- als Spielereien erschienen, für deren Seriosität wir einzeln nicht zeichnen wollten. Bezeichnen aber mußten wir eine neue Zusammenkunft von mit der PSA Befaßten – einen neuen Versuch, in Berlin „von der Psychoanalyse und ihren Umsetzungen auch in ‚anderen Versuchen‘ zu sprechen“ – und dies ausdrücklich diesseits oder jenseits von im Vereinsregister eingetragenen und durch Satzungen ausgezeichneten psychoanalytischen Schulen, Assoziationen und Gesellschaften, die sich seit der Gründung der Sigmund Freud Schule 1978 auf die Texte Freuds und ihre Lektüre durch Lacan stützen. Ja, ein neuer Versuch, sich zu gesellen quer zu den instituierten Versuchen, ohne vertragliche Regelungen und Verordnungen, um beruhigende Sicherheit zu vermitteln – eine Gesellung, von der wir nicht wissen, wie sie sich knüpfen wird; die sein wird durch die zeitliche Skandierung: das regelmäßige Treffen an jedem ersten Freitag eines Monats, und – den Namen. Mußte es dann dieser nicht grad beflügelnde Dreifüßler sein? Berlin[er Gruppe] und Psychoanalyse, wie mag das zusammengehen im Hinblick auf die Effekte dieser Signifikanten in der Geschichte der Psychoanalyse in Deutschland?

In einer freundlich-tröstlichen Zuschrift von Vreni Haas, die der offiziellen Mitteilung, daß der Wunderblock eingestellt sei, beigegeben ist, heißt es: „Also gar nicht so schlimm, wenn eine lang andauernde Sache zu Ende geht. In der Musik und der Psychoanalyse gibt es immer Neues.“ Was aber kann das heißen, wenn doch das Neue nicht ohne Verbindung zum Alten zu haben ist? Ausschwärmen wollen und doch verhaftet sein, sich zu einer Tradition zählen, in die sich in der Tat andere vor und neben uns – da sie sich auf Freud und Lacan beziehen – gestellt und die sie mit hergestellt haben.

So erreichte mich auf unseren Schrieb z.B. dies: „Und schon wieder eine Gruppe, als nächstes kam mir dann der Sprachduktus vertraut vor, er erinnert mich an Lutz Mai. Letzteres stößt mich keineswegs ab. Was ich sehr bedauerlich finde, ist die starke und polemisierende Grenzziehung.“

Ein Text von Vieren – eine Wiederholung, etwas Vertrautes und darum Anstößiges/Abstoßendes.
Aber ja, die eine oder andere hat an der SFS teilgenommen, in ihr gearbeitet, die eine oder andere hat sich für eine Weile in oder mit der Zeit zum Begreifen assoziiert. Davon mag in unserem Brief zu lesen sein, das Treffen hier ist gewiß ein Effekt auch dieser Erfahrung und von ihr wird in der einen oder anderen Rede zu hören sein. Und doch oder gerade darum gibt’s da keine Linie – (wie es in der Präsentation der Freud-Lacan-Gesellschaft heißt) -, der wir zu folgen vermöchten; was dabei herauskommt, kann man einige Zeilen später lesen, wo die Frage „Was ist ein Analytiker“ reglementiert – gemanagt wird durch eine „Liste der Mitglieder, die eine psychoanalytische Praxis führen“. Eines der Arbeitsfelder der Assoziation Die Zeit zum Begreifen, das nicht arbeitete, aber Symptom machte, war markiert durch die Frage nach dem „Begehren des Analytikers“, diese Frage wurde eine gute Weile offengehalten und schließlich in eine Vortragsreihe mit dem Titel: „Analytikerausbildung/Lehranalyse“ überführt.
„Dieser Politik wollen wir entgegentreten“ – heißt es in unserm Schrieb: Stein des Anstoßes einer verstockten Lektüre nur? Frage des Stils ( um den es sich dreht ) – seiner freund-feindlichen Färbung (l’ostilo – le style – l’hostile).[ 1 ]
Entgegentreten: Ich gehe dem Doppelsinn nach und finde im Grimmschen Wörterbuch den Eintrag entgegentreten zwischen den Einträgen entgegentreiben und entgegentrinken. Zum ersteren als Erläuterung: „ein heftiger Wind trieb uns den Staub entgegen; der Schäfer trieb uns seine Herde entgegen“; der andere, entgegentrinken, ist belegt durch die Verse Hagedorns:
„Fürst Hermann trank, wie deutsche Helden pflegen, als land und hof und auch Tusnelde schlief, dem morgenstern aus seinem helm entgegen, eh ihn der tag in feld und lager rief“.
Zu „entgegentreten“ (obviam ire und prodire) finde ich: „wo mir’s gefällt, da tret ich dir entgegen“ (das ist von Schiller); Klinger wird zitiert: „da ich dem männlichen Alter entgegentrat“ und natürlich auch Göthe: „dasz mir beim Lesen der Inhalt des Buches um so lebhafter entgegentrat“. Ich finde Aussagen, deren Ambiguität in der auf sie folgenden Wendung: „dem feinde kühn entgegentreten“ zu verschwinden scheint, welche aber im Zusammenspiel der anderen doch recht beschwingt klingt. Der abschließende Beleg für den Gebrauch des Verbs ist der Anfang eines mehr als rätselhaften Preisgedichtes von Kleist auf den spanischen Feldherrn Palafox, 12.2.1809 Saragossa nach ‚tapferer Verteidigung‘ an die Franzosen übergeben mußte:
„Tritt mir entgegen nicht, soll ich zu Stein nicht starren“ – soweit Grimm; das Gedicht führt den Vers fort: „Auf Märkten oder sonst, wo Menschen atmend gehen / dich will ich nur am Styx bei marmorweißen Scharen / Leonidas, Armin und Tell, den Geistern sehn“ .
Freund-feindliches Oszillieren – „Grenzziehung“ als Bahnungen für den Versuch derjenigen, die „Lust und Arbeit am Text erneut ins Zentrum … stellen“ und anderen zu Gehör bringen (wollen).

Welcher Ort könnte diesesn Versuch permeabel umschreiben. Eine permeable Gruppe – könnte es das geben: hierüber mag, wer will, mathematisch-topologische Übungen anstellen. Wir haben zunächst einmal, wie sich der Einladung zu den Treffen entnehmen läßt, als Ort für die folgenden Zusammenkünfte just einen Raum in Berlin-Mitte mit dem Namen „Aromakapsel gefunden.“ –
Bei unsren anfänglichen Treffen kam die Frage auf, ob wir nicht etwas wie einen Salon eröffnen könnten. Nun sind ja die Salons – ruelle zwischen dem Bett der empfangenden adligen Dame und der Wand des Gemaches, boutique d’esprits der Damen von Welt und laboratoire des encyclopédistes oder auch „bescheidene Dachstube“ der bürgerlichen Junggesellin (Rahel Levin in Berlin) – mit einem verwirrenden Geflecht von Deutungen überzogen; was wiederkehrt, ist der odor di femina, der an ihrem savoir und savoir vivre haftet. Diderot schreibt: „Die Frauen gewöhnen uns daran, auch die trockensten und dornigsten Gegenstände gefällig und mit Klarheit zu diskutieren“.[ 2 ]
In der Mitte des 18. Jh.s, zur Zeit der „Hochblüte“ der Salons, gilt die Histoire naturelle eines ihrer Habitués als ‚kosmologischer Roman‘; und bevor man seinen Autor Buffon im Zuge der Verbannung der Poesie aus der Wissenschaft als coquet tadelte und sein Werk als unwissenschaftlich verwarf, so Linné, galt er als großer Stilist, da er „die Strenge von Geometrie und Algebra mit der Geschmeidigkeit der Dichtkunst (vereinigte)“.[ 3 ]
Wie aber sollte dieses Stilideal mit dem notwendig stockenden, stolpernden, bisweilen unerträglich witzigen Sprechen im psychoanalytischen Feld zusammengehen? Wenn nicht in dem einen Zug, der in den Texten Freuds und Lacans auf je eigene Weise verlockt und abstößt:“…daß sie sozusagen des ernsten Gepräges der Wissenschaftlichkeit entbehren “ (GWI, 227), daß sich in ihnen, im Versuch vom Unbewußten zu sprechen und zu schreiben, zur Freude und zum Ärger des Lesers z.B. strenge Formalisierung, Erzählung und Spekulation verbinden.

Post Skriptum:
Am 8. Januar 1834 schreibt Karl Büchner in der Literarischen Zeitung zu Berlin über Heinrich Heines Salon I: „Es ist nicht bloß der Salon zu Paris, in welchem die Gemäldeausstellung eröffnet wird, auch ein Salonleben der französischen Residenz, das man hier erwarten könnte, trifft man nicht als wesentliche Bezugnahme des Autors; es ist vielmehr die Darstellung seines eigenen Ichs, ein Gemälde seines inneren Kopf- und Herzensraumes, mit einigen französischen Dekorationen.“ Ein Jahr zuvor hatte Heine in Bezug auf dieses Werk an F. Merckel geschrieben: „Ich bin daher der inkarnierte Kosmopolitismus.“ (Heinrich Heine, Sämtliche Schriften Bd.6).

[ 1 ]
Ich erinnere an eine Intervention von Norbert Haas anläßlich des Vortrags von J.Prasse: „Der blöde Signifikant und die Schrift – Stilfragen“. In Hinsicht auf Teresa von Avila fragt er: „Ist, wie Teresa lehrt, nach Lacan noch zu lehren? Oder ist hier durch den Mund eines Dritten, os, eines Anderen eine nicht wiedergutzumachende … Feindseligkeit – L’OSTILO interpoliere ich – eingeführt?“( Wunderblock 10, Mai 1981, S.43.
[ 2 ]
zit. nach L. Schiebinger: Schöne Geister. Frauen in den Anfängen der modernen Wissenschaft. Stuttgart 1993, S.219.
[ 3 ]
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